KKW Mülheim-Kärlich
- Eine nationale Katastrophe -
Fast 5 Mrd. € für nichts – das Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich befindet sich am Rhein, etwa
10 km nordwestlich von Koblenz nahe der Stadt Mülheim-Kärlich. Es hat ursprünglich mal 3,58 Mrd. € gekostet, war 1 Jahr am Netz und wird jetzt für 725 Mio. € zurückgebaut.
Eine Besichtigung der Rückbauarbeiten gab viele Informationen.
Geschichte
Ende der 60er Jahre begannen die Planungen für ein Kernkraftwerk im Raum Koblenz. Neben
Mülheim-Kärlich waren auch Bad Breisig und Neuwied als mögliche Standorte im Gespräch. Bad Breisig scheiterte aus wasserrechtlichen Gründen. Neuwied wegen mangelnden Hochwasserschutzes. Aufgrund der
Tatsache, dass mit einem steigenden Energiebedarf gerechnet wurde, wurde am Standort Mülheim-Kärlich ein weiterer Kernkraftblock geplant, dessen Planungen dann aber verworfen wurden.
Das Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich wurde von 1975 bis 1986 gebaut. Schon während der Bauzeit kam
es wegen Klagen durch Kommunen und Privatpersonen zu Verzögerungen. Das Bundesverfassungsgericht entschied am 6. Februar 1980, dass die friedliche Nutzung der Kernenergie mit dem Grundgesetz
vereinbar sei und ließ eine Verfassungsbeschwerde zum Genehmigungsverfahren scheitern. Das Werk war nicht zuletzt deswegen umstritten, da es im leicht erdbebengefährdeten Neuwieder Becken liegt.
Wegen dieser Gefährdung wurde das Reaktorgebäude ohne neue Öffentlichkeitsbeteiligung und ohne eine neue Teilerrichtungsgenehmigung 70 m vom ursprünglich geplanten Standort errichtet. Diese
Genehmigung wurde aber vom Landesministerium mit einem sog. Freigabebescheid erteilt.
Dies führte dazu, dass das Kernkraftwerk im September 1988 nach knapp 2 Jahren im Probe- und
genau 100 Tagen im Regelbetrieb aufgrund einer richterlichen Entscheidung aus formaljuristischen Gründen vom Netz genommen werden musste. Die rheinland-pfälzische Landesregierung erteilte 1990 eine
neue 1.Teilerrichtungsgenehmigung ohne Sofortvollzug, die vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in Koblenz 1995 jedoch erneut aufgehoben wurde. Diese Entscheidung bestätigte das
Bundesverwaltungsgericht in Berlin 1998 in letzter Instanz. Nach Meinung des Gerichts hätten die Erkenntnisse über die Erdbebengefährdung ein vollständig neues Genehmigungsverfahren
erfordert.(Anmerkung: Obwohl das KKW für ein Erdbeben von 8 berechnet wurde – so ein Erdbeben hat es seit Jahrtausenden im Neuwieder Becken nicht gegeben)
Kosten
Ich habe im Bereich Transport radioaktiver Stoffe jahrzehntelang als Delegierter bei der
Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) gearbeitet und hatte so Kontakt mit vielen Nuklearexperten aus aller Welt, u.a. auch aus China, Russland, Indien, Amerika. Wenn man dann abends am
Biertisch zusammen gesessen hat, wurde auch über die Kernenergienutzung in Deutschland gesprochen. Es gab immer wieder Erstaunen über den Rückbau bereits begonnener Anlagen
- - Der Schnelle Brüter in Kalkar wurde nicht zu Ende gebaut.
- - Das Kernkraftwerk in Hamm-Üntrup war nur wenige Wochen am Netz und musste dann
abgeschaltet werden.
- - Die Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf wurde zwar begonnen, aber nicht weiter
gebaut.
- - In Gorleben wurde eine Rekonditionierungsanlage für eine 1 Mrd. € gebaut und dort
passiert zur Zeit nichts.
- - In Gorleben wurde damit begonnen, in einem Salzstock ein Endlager zu bauen. Seit fast
10 Jahren ruhen aufgrund eines Moratoriums alle Arbeiten.
- - Das Kernkraftwerk in Greifswald (ehemals DDR) mit 7 Blöcken wurde stillgelegt und wird
zur Zeit für 3 Mrd. € zurück gebaut.
- - Die MOX-Brennelement-Anlage in Hanau (Kostenpunkt 1 Mrd. €) wurde stillgelegt und
sollte nach China verkauft werden.
Die Baukosten für Mülheim-Kärlich betrugen 7 Mrd. DM (3,58 Mrd. €), die Kosten des
Rückbaus rd. 725 Mio. €.
Meine internationalen Kollegen haben mich immer wieder angesprochen, dass wir in Deutschland ja
ein sehr reiches Land sein müssten, wenn wir uns einen derartigen Luxus leisten könnten!
Besichtigung des Rückbaus des KKW
Ende Juli 2009 hatte ich die Möglichkeit, mit einigen Experten der Arbeitsgemeinschaft ‚
Energie und Umwelt den Rückbau des Kernkraftwerkes Mülheim-Kärlich zu besichtigen. Hierzu ist zu bemerken, dass das Kernkraftwerk 2001 von der RWE stillgelegt wurde. Die Entsorgung des atomaren
Kernbrennstoffs folgte ein Jahr später. Es konnten nun die Arbeiten für den Rückbau des Werks beginnen, der bis 2013 soweit fortgeschritten sein soll, dass nur noch der eigentliche
Reaktordruckbehälter in der Anlage verbleibt.
Die Sicherheitsbedingungen zum Betreten des ehemaligen Kernkraftwerkes sind nicht mehr ganz so
restriktiv, als wenn das Kernkraftwerk in Betrieb wäre. Gleichwohl erfolgt eine Kontrolle der Personalausweise, wir werden mit einem Dosimeter ausgerüstet. Bevor wir den „radioaktiven“ Bereich
betreten, müssen wir eine entsprechende Schutzkleidung und Überschuhe anziehen. Sodann werden wir mit einem Schutzhelm ausgerüstet und betreten über mehrere Schleusen das im Rückbau befindliche
Reaktorgebäude.
Wir befinden uns innerhalb der Reaktorumhüllung aus Stahlbeton, die den ehemaligen Reaktor
gegen Flugzeugabstürze (z.B. Boeing 747) schützen sollte. Joachim Kurth, der uns als Mitarbeiter der Anlage führt, erklärt die einzelnen Aktivitäten des Rückbaus. Wir schauen beispielsweise in ein
etwa 14 m tiefes Becken, in dem ehemals unter Wasser die abgebrannten Brennelemente gelagert wurden. In diesem Becken soll vielleicht später der eigentliche Reaktor unter Wasser zerlegt und dann
im Endlager Konrad entsorgt werden.
Beim Rückbau geht man grundsätzlich davon aus, dass alle abgebauten Teile kontaminiert sein
können. Wir beobachten, wie ein Mitarbeiter eine sog. Wischprobe an Metallteilen macht und auch mit einem Messgerät die Dosis misst. Alle Abbaumaterialien werden einer Freimessanlage zugeführt. Sind
diese Materialien weder kontaminiert noch sonst wie strahlenbelastet, können sie der normalen Verwertung zugeführt werden.
Übrigens erfolgt das Ausschleusen aus dem Inneren des Reaktorgebäudes über Schleusen, durch die
ehemals die abgebrannten Brennelemente in Typ B-Behältern hinaus befördert wurden; auch frische Brennelemente kamen einst durch diese Materialschleuse.
Mit dem Rückbau der Anlagen sind ca 250 Personen beschäftigt, davon sind 93 RWE Mitarbeiter.
Früher beim Betrieb der Anlage waren es je nach Betriebszustand 700 – 1500 Mitarbeiter.
Nach dem Verlassen des Reaktorgebäudes wird eine eventuelle Kontamination unseres Körpers
gemessen. Keine Kontamination – wir dürften uns in der Umkleidekabine wieder unserer Schutzkleidung entledigen.
Resümée
Es war beeindruckend, was wir in der kurzen Zeit hier sehen konnten.
Gleichwohl fahren wir alle mit einem unguten Gefühl nach Hause, denn hier wurden 4 Mrd. € sinnlos ausgegeben – nur weil es mit der Genehmigung juristische Probleme gegeben hat. Den
Vorwand, dass das Kernkraftwerk nicht erdbebensicher ausgelegt sei, kann man meines Erachtens nicht gelten lassen. Das Kernkraftwerk wurde für eine Belastung eines Erdbebens mit 8 in der MSK-Skala
ausgelegt – und ein solches Erdbeben hat es seit Jahrtausenden im „Neuwieder Becken“ nicht gegeben.
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